Die 54-jährige Sachbearbeiterin meldet sich beim Hausarzt wegen Schmerzen und Steifigkeit in der rechten Schulter. Der Hausarzt findet keine auffälligen Befunde und verschreibt ein NSAR sowie Phyisotherapie. Weil diese Therapie nach 4 Monaten keine Wirkung zeigt und die Schmerzen eher zunehmen, weist er die Patientin weiter.
Autor: Prof. em. Dr. med. Mathias Sturzenegger,
Facharzt für Neurologie FMH, Bern
Schmerzanamnese: Diese treten vor allem nachts im Bett auf und führen zu Schlafstörungen. Oft auch wenn sie länger ruhig sitzt, wie beim Lesen, Fernsehen oder im Theater. Der Schmerz sei diffus in der Schulter und im Oberarm lokalisiert, strahle nicht in Unterarm oder Hand aus. Bewegen des Armes würde eher lindern als verstärken. Der Nacken sei nicht steif oder in der Beweglichkeit eingeschränkt. Es bestünden keinerlei Gefühlsstörungen oder Missempfindungen in Arm oder Hand. Eine eigentliche Schwäche habe sie auch nicht, aber oft eine Art Ungeschicklichkeit mit der rechten Hand, z.B. beim Schreiben oder beim Nähen, manchmal auch beim Schuhe binden. Sie kann nicht genau sagen, wann die Schmerzen begannen, jedenfalls nicht akut. Ein Auslöser (Unfall, Trauma, Entzündung) ist nicht zu eruieren. Derartige Schmerzen hatte sie bislang nie. Die Frau ist alleinstehend, geht oft wandern, hat keine sonstigen bekannten vorbestehenden Leiden, und nimmt keine Medikamente regelmässig ein.
Bei der Untersuchung findet man eine etwa adipöse, ruhige Frau, die einen leicht depressiven, adynamen Eindruck macht. Die Trophik des Schultergürtels und der Arme ist symmetrisch und unauffällig. Die Nacken- und Kopfbeweglichkeit ist uneingeschränkt und schmerzlos. Die passive und aktive Beweglichkeit der Schultergelenke ist symmetrisch, nicht eingeschränkt und schmerzfrei. Die Palpation der Schultern ist unauffällig, keine Druckdolenzen oder Myogelosen. Die Kraft, die Sensibilität und die Reflexe der Arme und Beine ist unauffällig, auch die Kraft der Schultergürtelmuskulatur ist unauffällig. Es finden sich keine Pyramidenzeichen (z.B. Babinski Zeichen).
Frage: Welches ist die diagnostisch am ehesten zum Ziel führende Untersuchung? (mehrere korrekte Antworten möglich!)
MRI der rechten Schulter
Konventionelles Schulterröntgen
Tonusanalyse
Elektroneurographie rechter Arm
Ganganalyse
Nadelmyographien der rechten Schultermuskeln
Richtige Antwort:
Richtige Antwort: 3 und 5 Tonusanalyse und Ganganalyse
Auflösung:
Eine Bildgebung der rechten Schulter dürfte beim klinischen Befund eines frei und schmerzlos beweglichen Schultergelenkes wohl kaum zielführend sein. Bei fehlenden sensomotorischen Reiz- oder Ausfallssymptomen ist auch von einer Elektroneurographie wenig zu erwarten. Ohne Paresen, Atrophien oder Faszikulationen in der Muskulatur ergibt sich ebensowenig eine Indikation für eine Nadelmyographie. Schon beim Hereinkommen ins Untersuchungszimmer fiel auf, dass die Patientin den rechten Arm beim Gehen kaum mitschwang, wohl aber den linken. Dies bestätigte sich dann bei den Gangprüfungen, die ansonsten unauffällig waren (Schrittlänge, Schrittbreite, Gleichgewicht bei Strichgang und Rhomberg-test). Bei Prüfung rasch alternierender Bewegungen (Pro-/Supination, rasches Fingertapping Zeigefinger gegen Daumen) fiel eine deutliche Verlangsamung der rechten Hand im Vergleich zur linken auf, obschon die Patientin Rechtshänderin ist. Die detaillierte Tonusprüfung zeigte am rechten Arm einen leichten Rigor mit diskretem Zahnradphänomen, deutlich vor allem im Seitenvergleich und bei der Pro-Supination. Dabei wird das Handgelenk des Patienten bei angewinkeltem (90° flektierten) Ellenbogen durch den Untersucher langsam und kontinuierlich passiv pro-/ und supiniert (Abbildung). Dieser klinische Test ist die feinste Methode um eine diskrete Tonuserhöhung (Rigor) zu detektieren, vor allem im Seitenvergleich bei asymmetrischem Rigor, wie sehr typisch bei einem Morbus Parkinson. Dabei kann ein diskreter Rigor durch das Froment- Manöver provoziert bzw. verstärkt werden: dazu wird der Patient während der Tonusprüfung gebeten, den freien (anderen) Arm anzuheben und repetitive Greifbewegungen oder repetitiven Faustschluss auszuführen. Die verminderte Bewegungsamplitude (Hypo-Akinesie), die verlangsamte Bewegung (Bradykinesie) und der Rigor sind die Kernsymptome der Parkinsonkrankheit. Sie sind zu Beginn immer asymmetrisch ausgeprägt bzw. oft nur einseitig nachweisbar. Hypokinesie und Rigor führen recht häufig zu Schmerzen, einseitig und sind oft im Schulterbereich manifest. Einseitige (Schulter-) Schmerzen sind ein häufiges Frühsymptom bei Parkinson und werden leider meist nicht als solches erkannt. Lässt man den Patienten gehen und beobachtet ein einseitig reduziertes Mitschwingen des Arms und daselbst im Pro-Supinations- Test einen Rigor – dann ist die Diagnose gestellt. Der Befund eines veränderten Muskeltonus, insbesondere eine Erhöhung, ist meist ein diagnostisch entscheidender Baustein. So ist eine Gehstörung oder eine Schwäche beim Befund einer Spastik sofort als „zentral“ bedingt kategorisiert. Oder ein einseitiger Schulterschmerz mit einer gewissen Ungeschicklichkeit der ipsilateralen Hand wird beim Befund eines ipsilateralen oder ipsilateral betonten Rigors der oberen Extremitäten sofort an ein Parkinson Syndrom denken lassen.